In der maroden Altbausubstanz des Prenzlauer Berges entstand seit den 1970er Jahren eine facettenreiche Kunst- und Kulturszene. An diesem Ort lebten Oppositionelle und Unangepasste ihre Vorstellungen als Gegenentwürfe zum herrschenden realen Sozialismus. Hier agierten namhafte Protagonist*innen und wichtige Gruppen der DDR-Opposition. Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde der Prenzlauer Berg zu einem Ort der Inspiration für eine vielfältige kulturelle Szene. Alteingesessene Künstler*innen und Fotograf*innen vermischten sich mit zugezogenen Akteur*innen der Subkultur aus West-Berlin, den neuen und alten Bundesländern, sowie Kreativen aus dem In-und Ausland. Gemeinsam erprobten sie neue Formen der künstlerischen Praxis und des Zusammenlebens und -arbeitens. Leerstehende Gebäude boten temporäre Freiräume für eine vielgestaltige kulturelle Nutzung. Mit dem SEITENFLÜGEL etablierte das Kulturamt Prenzlauer Berg 1992 ein neues und besonderes Informations-und Präsentationsmedium. Dieser in Plakatform herausgegebene Kultur- und Veranstaltungskalender kombinierte monatlich auf der Vorderseite ein fotografisches Motiv mit der Ankündigung von zumeist kommunalen Kulturveranstaltungen auf der Rückseite. Neben dem Hinweis auf kulturelle Veranstaltungen verschiedenster Sparten von Musik über Theater bis zu Ausstellungen, soziokulturellen Angeboten, Lesungen und Diskussionen wurde mit dem SEITENFLÜGEL zugleich eine Galerie für zeitgenössische Fotografie in monatlicher Fortsetzung geschaffen. Die Fotos, die durch eine Jury ausgewählt wurden, sind ein einmaliger Querschnitt fotografischen Schaffens und zeigen journalistische, dokumentarische und künstlerische Motive. Sie zeichnen sich einerseits durch ihre hohe fotografische Qualität und andererseits durch den Wert als zeithistorisches Dokument aus. Die vielfältigen Umbrüche einer Gesellschaft und des Wandels einer Stadt werden so sichtbar. Die von der Fotografin und Kuratorin Christine Kisorsy konzipierte Ausstellung präsentiert erstmals alle Jahrgänge mit insgesamt 67 Fotomotiven und zeigt einen einmaligen Querschnitt fotografischen Schaffens zwischen Mauerfall und Jahrtausendwende. Die Ausstellungsarchitektur ist inspiriert von der charakteristischen „Zick-Zack-Form“ eines gefalteten Flyers und greift diese als gestalterisches Element auf. Filminterviews mit ausgewählten Fotograf*innen ermöglichen ergänzend Einblicke in ihre Arbeit. Darüber hinaus werden in der Ausstellung ausgewählte Veranstaltungsorte im Prenzlauer Berg der 1990er Jahre visualisiert, darunter auch Räume der freien Szene, der Clubkultur und der queeren Community. Viele dieser Orte, die heute bereits verschwunden sind, prägten die kulturelle und gesellschaftliche Identität des Bezirks. Eine kuratierte Auswahl zeitgenössischer Flyer aus der Sammlung FLYER SOZIOTOPE sowie begleitende Ausstellungstexte der Kulturjournalistin Claudia Wahjudi und der Clubbetreiberin Pamela Schobeß nehmen die Ausstellungsbesucher*innen mit in den Prenzlauer Berg der 1990er Jahre.